Oberursel, Anfang November 2014
Liebe Parteifreunde,
im letzten Kompakt-Journal hat sich Joachim Starbatty mit einem offenen Brief an Sie gewandt, um seine Position zum TTIP, dem Freihandelsabkommen mit den USA, zu begründen. Wie er schreibt, will er auf diesem Wege den innerparteilichen Klärungsprozess vorantreiben, und das will ich auch. Zunächst hatte ich vor, die für Ende Oktober geplante Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats abzuwarten; nachdem die nun aber verschoben worden ist, nehme ich jetzt schon Stellung.
Wie Sie wissen, richtet sich einer der Hauptvorwürfe gegen das Verfahren. Das Abkommen wurde – oder wird noch – hinter verschlossen Türen ausgehandelt, und das macht stutzig. Denn was Hannah Arendt in anderem Zusammenhang einmal bemerkt hat, gilt auch hier: die Macht beginnt genau dort gefährlich zu werden, wo die Öffentlichkeit aufhört. Ich frage mich, wie die Mitglieder des Beirats zu einem Text Stellung nehmen können, dessen Einzelheiten sie nicht kennen. Sollte ich mich irren, so bitte ich sie, uns allen das Wissen zugänglich zu machen, über das sie offenbar verfügen.
Dass Protektionismus den meisten Menschen schadet, will ich gern glauben. Was aber nicht bedeutet, dass freier Handel allen Menschen nutzt oder, wie die gängige Formel lautet: Wohlstand für alle schafft. Der Umkehrschluss führt hier wie meistens in die Irre. Wäre es anders, müssten wir uns fragen, warum ausgerechnet die amerikanische Notenbankpräsidentin vor dem wachsenden Abstand zwischen Arm und Reich warnt, und warum sich Hillary Clinton dieser Tage über die Behauptung amüsiert hat, dass Unternehmer Arbeitsplätze schüfen. Warum sagen sie das?
Offenbar sind sie misstrauisch geworden gegen die Dogmen von freiem Markt und freiem Handel. Beide leisten nicht mehr das, was ihre Freunde, zu denen auch ich mich zähle, von ihnen erwarten. Es ist kein genereller Zweifel, sondern der greifbare Widerspruch zwischen der reinen Lehre und der hässlichen Wirklichkeit, der skeptisch macht. Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz brachte es auf den Punkt, als er schrieb, die Quintessenz der neuen Märkte bestehe nicht mehr darin, „neues Vermögen zu schaffen, sondern es anderen einfach wegzunehmen“.
Nicht zufällig richtet sich das allgemeine Misstrauen gegen die unabhängig genannten Schiedsgerichte und ihre Zuarbeiter in den großen Kanzleien. Denn dort sind die Experten obenauf; Experten sind jedoch, einer gängigen Definition zufolge, Interessenten, die ihre Herkunft vergessen haben. Ich bin gern dazu bereit, von Fachleuten zu lernen, bin aber ganz und gar nicht einverstanden, wenn ich mich ihrem Urteil widerspruchslos unterwerfen soll. Für Urteile haben wir die ordentliche Gerichtsbarkeit und die gesetzlichen Richter. Die sollen auch für Unternehmen zuständig sein: warum heißen sie sonst so?
Es scheint mir ein Widerspruch in sich zu sein, wenn wir, die AfD, uns mit guten Gründen gegen die Harmonisierungswut der Euro-Bürokraten wenden, dieselben Tendenzen dann aber anderswo, im Verhältnis zu den USA, befördern und beklatschen. Bei der Frage, ob Auto-Rückleuchten rot oder gelb aussehen sollen, mag das unschädlich sein; wo es um den Schutz von Mensch und Tier, von Natur und Umwelt geht, hört der Spaß dann aber auf. Hier ist das Zentrum der Staatstätigkeit berührt, für das die Politik zuständig sein und bleiben sollte.
Das meint, mit freundlichen Grüßen, Ihr Konrad Adam