Von Brandmauern und Löschversuchen…

… oder Friedrich Merz und die Geister, die er rief.

Was hat sich der Vorsitzende der GDU (Grüne Demokratische Union) nur dabei gedacht? Da erklärt er doch glatt beim ZDF-Sommerinterview, was landauf-landab längst gängige Praxis ist:

Auf Kommunalebene müsse mit demokratisch gewählten Amtsträgern der AfD pragmatischer umgegangen werden, sagte Merz im ZDF-Sommerinterview.

„Wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man dann nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann.“

ZDF-Sommerinterview: Merz rudert nach AfD-Aussage zurück – ZDFheute

Freilich ließ der Shitstorm nicht lange auf sich warten. Die Kritik von Grünen und SPD war erwartungsgemäß, wenn auch tatsächlich nur geheuchelt. Denn auch die Grünen und die SPD haben kein Problem damit, auf kommunaler Ebene mit der AfD zu stimmen, solange das Ergebnis in ihrem eigenen Sinn ist.

Trotz Wut über Merz: Auch SPD und Grüne stimmten schon MIT der AfD | Politik | BILD.de

Wenn zwei das Gleiche tun oder meinen, ist es noch lange nicht Dasselbe, offenbar das Leitmotiv schlechthin für unsere Altparteien.

Landrat packt aus: „Alle Fraktionen stimmen mit der AfD“ | Politik | BILD.de

Wenn Merz sagt: „Wir sind die Alternative gegen diese Bundesregierung“, ist das gleich in zweierlei Hinsicht falsch. Erstens unterschlägt er nonchalant, dass seine Unionsfraktion, Stand Juni 2023, 108 (in Worten: Einhundertacht!) mal MIT der Ampelregierung gestimmt hat. Zweitens, die einzige Alternative ist die AfD. Die CDU als größte angebliche Oppositionsfraktion macht uns schon mit ihrem Stimmverhalten dazu.

Opposition? CDU/CSU stimmt fast immer mit der Ampel (jungefreiheit.de)

Ebenso erwartbar wie die Kritik der linken Parteien an Merz‘ Aussage war die teilweise heftige Kritik aus den Reihen der Union. Besonders hervorgetan haben sich hier die Herren Söder, Röttgen und Hans (das ist der ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes, der mit dem historisch schlechtesten Wahlergebnis der CDU bei der saarländischen Landtagswahl 2022 das Ministerpräsidentenamt an die SPD verlor).

Nach AfD-Aussage: Hans zweifelt an Merz Kanzler-Eignung – ZDFheute

Merz und die AfD: „Politisch ist das eine Katastrophe“ – ZDFheute

Und genauso erwartbarer war das Rückwärtsrudern des CDU-Chefs. „Ein Mann, ein Wort“ stammt aus einer längst vergangenen Zeit. Die Gründe muss man indes nicht lange suchen. Zum einen wären da die Ambitionen, der nächste Kanzlerkandidat und dank Ampel auch der nächste Kanzler mit der Union zu werden. Um das zu schaffen, kann Merz es sich nicht mit dem linken Flügel („Merkelianer“) der Union verscherzen. Dafür müssen Ehre und Anstand schon einmal hintenanstehen.

Zum anderen sorgt das politische System in Deutschland dafür, dass es außer der AfD keine echte Opposition mehr gibt. Keine der Altparteien kann und will sich ernsthaft mit den jeweils anderen anlegen. Die Betonung liegt auf „ernsthaft“. Merz weiß das, und er weiß auch, dass er im Fall einer CDU-Kanzlerschaft höchstwahrscheinlich zwei weitere Koalitionspartner für eine parlamentarische Mehrheit braucht.

Der Tagesspiegel fragt am 25. Juli 2023 „Kann Merz Kanzler?“

Kann Merz Kanzler?: Die heikle Kritik aus der dritten Reihe (tagesspiegel.de)

Die klare Antwort ist: NEIN! Selbstverständlich kann niemand Kanzler der größten Wirtschaftsnation in der EU werden, der beim leisesten Lüftchen umfällt. Und nicht jedem liegt das „Scholzen“.

Koalitionen – Jeder mit Jedem und Alle mit Allen

Das System der Mehrparteien-Koalitionen in Deutschland ist heutzutage nur noch als pervers zu bezeichnen. Hier ein paar Beispiele:

Bund: SPD-Grüne-FDP

Hessen: CDU-Grüne

Baden-Württemberg: Grüne-CDU

Thüringen: Die Linke-SPD-Grüne (Minderheitsregierung toleriert von der CDU)

Sachsen: CDU-Grüne-SPD

Sachsen-Anhalt: CDU-SPD-FDP

Bayern: CSU-Freie Wähler

Landkreis Darmstadt-Dieburg: SPD-CDU

Alle diese Parteien haben Grundsatz- und Wahlprogramme, die zum Teil in diametralem Gegensatz zueinander stehen. Trotzdem bilden sie Koalitionen, was nichts anderes bedeutet, als die Wahlversprechen, für die sie gewählt wurden, im Koalitionsvertrag einzustampfen oder mindestens zu verwässern. Sie nennen das dann „Kompromisse“.

Schauen wir einmal an, wie sich diese Koalitionen in der Realität mit Leben füllen: Der SPD-CDU geführte Landkreis Darmstadt-Dieburg kann nur mit angezogener Handbremse mit der CDU geführten hessischen Landesregierung interagieren. Da die CDU-geführte hessische Landesregierung die Grünen im Boot hat, kann diese wiederum nur mit angezogener Handbremse mit der SPD-Grüne-FDP Ampel in Berlin umgehen. Mit anderen Worten, man tanzt um den heißen Brei, Lösungen für echte Probleme bleiben auf der Strecke.

Abgesehen vom Stimmverhalten der Union im Bundestag widerlegt dieses Beispiel zusätzlich Friedrich Merz‘ Aussage, die CDU sei die Alternative gegen diese Bundesregierung. Sie kann es nicht sein, weil sie auf Landesebene und auf Kommunalebene in den verschiedensten Koalitionen mit allen Ampel-Parteien steht. Bekanntlich hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus.

Man kann es auch einfacher ausdrücken: Wer keine links-grüne Politik will, kann nur AfD wählen.

Parteitagsbeschlüsse der CDU

Auf dem 31. Parteitag der CDU am 8. Dezember 2018 in Hamburg wurde der folgende Beschluss gefasst: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“

Wir haben oben im Artikel gesehen, dass Politik und Medien in heller Aufregung sind, weil sie die „Brandmauer“ gegen die AfD bröckeln sehen.

Konkret bedeutet „Brandmauer gegen die AfD“ die Ausgrenzung eines Drittels der Wähler in den neuen Bundesländern und eines Fünftels im Westen. Wie sich das mit einer funktionierenden Demokratie verträgt, bleibt bis auf Weiteres das Geheimnis der Altparteien und Medien.

Wie schaut es aber nun mit der „Brandmauer“ der CDU gegen Links aus? Immerhin wurde der Parteitagsbeschluss vom 08. Dezember 2018 bis heute nicht widerrufen.

Um die Doppelmoral am anschaulichsten aufzuzeigen, reicht ein Blick in unser Nachbarland Thüringen:

Bei der Landtagswahl im Oktober 2019 verfehlte Die Linke mit ihren Koalitionspartnern SPD und Grüne mit insgesamt 42 Sitzen die parlamentarische Mehrheit. Die Opposition aus CDU, AfD und FDP kommt zusammen mit vier fraktionslosen Abgeordneten auf 48 Sitze. Folglich wurde das getan, was in einer Demokratie ein völlig normaler Prozess ist: Anstelle von Bodo Ramelow (Die Linke) wurde mit Stimmen von CDU, AfD und FDP der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich am 05. Februar 2020 zum neuen Ministerpräsidenten gewählt.

Die Medien liefen verbalen Amok. Die damalige CDU-Bundeskanzlerin Merkel, die sich aus Südafrika zu Wort meldete, bezeichnete die Wahl als „unverzeihlich“ und ordnete an, das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden. Die wirkliche Schande für unsere Demokratie bestand darin, dass der demokratisch gewählte legitime Ministerpräsident Kemmerich tatsächlich zum Rücktritt gezwungen wurde.

Merkel wurde zwar mit Urteil vom 15. Juni 2022 vom Bundesverfassungsgericht für ihr Agieren gerügt, aber zu spät. Gelernt haben die Altparteien aus diesem Urteil nichts.

Bundesverfassungsgericht – Presse – Äußerungen von Bundeskanzlerin Merkel zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen 2020 verletzen das Recht auf Chancengleichheit der Parteien

„Am 17. Februar 2020 trafen sich erstmals Vertreter von Linkspartei, SPD, Grünen und CDU zu Verhandlungen, mit dem Ziel, eine gemeinsame Lösung zur Abwendung der „beginnenden Staatskrise“ (Zitat Ramelow) zu finden. (…) Am 21. Februar 2020 einigten sich Linkspartei, SPD, Grüne und CDU auf Maßnahmen zur Überwindung der Regierungskrise. Damit wurde dem Wunsch der CDU nach einem Aufschub der Neuwahlen ebenso wie dem Vorhaben von Rot-Rot-Grün zur vorübergehenden Wiederwahl von Ramelow zum Ministerpräsidenten entsprochen.

Die Kooperation (!!!) der vier Parteien sah vor, dass Bodo Ramelow am 4. März 2020 zum Ministerpräsidenten gewählt werden und eine Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen führen sollte. Im Gegenzug wurde vereinbart, dass Neuwahlen zum Landtag erst am 25. April 2021 stattfinden sollten. Ein sogenannter „Stabilitätsmechanismus“ soll in dieser Zeit eine funktionierende Regierungsarbeit sicherstellen: Die CDU verpflichtet sich, alle Anträge im Landtag zuvor mit den Regierungsparteien abzustimmen, um auszuschließen, dass CDU, FDP und AfD gemeinsam die Regierung blockieren. Zugleich sollten sich auch Linke, SPD und Grüne bei Vorhaben im Vorhinein mit der CDU einigen.“

Zitiert aus dem nachfolgend verlinkten Wikipedia-Artikel

Regierungskrise in Thüringen 2020 – Wikipedia

Die vereinbarten Neuwahlen haben selbstverständlich bis heute nicht stattgefunden, dafür hat sich die CDU, die maßgeblich am Sturz eines demokratisch gewählten FDP-Ministerpräsidenten beteiligt war und dafür einem Linken ins Amt des Ministerpräsidenten verholfen hat, bequem als Stütze der Linken im Thüringer Landtag eingerichtet.

Wir erinnern uns an den nach wie vor gültigen Parteitagsbeschluss der CDU vom 08. Dezember 2018:

Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“

Frei nach Konrad Adenauer: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“

Veröffentlicht in Kreisverband Darmstadt-Dieburg.